PRESSETEXT ZWISCHEN WESEN

von Dr. Yvette Deseyve
(Gerhard-Marcks-Haus Bremen)

Ulla Reiters Figuren treffen den Betrachter mit Wucht: Sie verblüffen und irritieren zugleich. Widerspruch erzeugt die Künstlerin in erster Linie über das Material, denn die martialisch stark erscheinenden Giganten sind allesamt aus weichem Schaumstoff. Mit dem Material unterläuft Reiter die Ästhetik edler Bildhauermaterialien und setzt Assoziationen mit der alltäglichen Konsumwelt frei. Um diesen Bruch zu verstärken, verarbeitet die Künstlerin ihr Material bewusst in klassischer Bildhauertechnik: Die Figuren werden mit Weberscheren und Sezierbesteck direkt aus dem Block geschnitten. Einzelne Elemente werden collagenartig zusammengesetzt und mit grafischen Strukturen überzogen. Barocken Überwältigungsstrategien folgend, setzt die Bildhauerin Volumen und ornamentale Fülle gezielt ein und lässt die Grenze zwischen dreidimensional Präsentem und malerischer Illusion verschwimmen.

Mit ihren Figuren inszeniert die Bildhauerin ein Spiegelkabinett der menschlichen Eitelkeiten, der Urtriebe und Macht. Ihre Protagonisten sind allesamt überlebensgroß und wurzeln in alten mythischen Erzählungen ebenso wie in aktuellen Comic- und Online-Spielwelten.

Raum füllend und mit angespannter Kraft treten die Apokalyptischen Reiter (2008) dem Betrachter entgegen. Mit wehender Mähne und geblähten Nüstern scheint das Pferd geradewegs bereit, den Ritt mit seinen beiden gerüsteten Begleitern wieder aufzunehmen. Statische Ruhe und Überlegenheit strahlt hingegen die gekrönte Personifikation der Wolllust (2010) aus, deren entblößten Brüste sich in lachende Fratzen verwandeln.

Ulla Reiter studierte in den Jahren 2000 – 2008 an der Akademie der Bildenden Künste München bei Fridhelm Klein und Matthias Wähner. 2009 bekam sie den mit einem Atelierstipendium in Griechenland verbundenen „Debütantenpreis“ der Münchner Akademie sowie des Goethe-Instituts Athen verliehen. Reiter lebt und arbeitet als freischaffende Künstlerin in Bamberg.